30. Juni 2021
Das international agierende Design- und Architekturbüro Gensler hat bei der Gestaltung seines neuen Europa-Headquarters in London eine offene Bürolandschaft geschaffen, in der die eigene, demokratische Unternehmensphilosophie Ausdruck finden soll. Dazu haben die Designer*innen von Gensler eine passende Möbelserie entwickelt und zusammen mit einem italienischen Büromöbel-Hersteller zur Marktreife gebracht.
Von Thomas Geuder | Der Raumjournalist
Beim Umzug haben die Planer*innen des international agierenden Architektur- und Designbüros Gensler das bestehende Gebäude aus den 1980er-Jahren komplett saniert. © Gensler / Johan Dehlin
Der Komplex „Thomas More Square“ in London wurde in den 1980er-Jahren errichtet und besteht aus mehreren, teils miteinander verknüpften Gebäuden im für diese Zeit typischen postmodernen, leicht kolossal anmutenden Stil, den man heute nicht unbedingt als gutes Beispiel dieser Epoche bezeichnen möchte. Seit einigen Jahren wollen die Betreiber des Komplexes deshalb neue Wege gehen und das Quartier in ein modernes Kreativdistrikt mit neuem Namen transformieren: Moretown. Für das Design- und Architekturbüro Gensler aus San Fransisco war die innerstädtische Lage nahe der Tower Bridge an den ehemaligen St. Katharine Docks ideal, um hier das neue Europa-Headquarter zu errichten.
Die Hausnummer 6, dem einzigen alleinstehenden Gebäude im Ensemble, wurde dazu innen wie außen komplett runderneuert. Als Inspirationsquelle bei der Gestaltung und Materialwahl diente das historische Industriedenkmal der Hafenanlagen: Holz, Backstein und Stahl sollen – so die Lesart der Architekten – eine gewisse Wärme zurückbringen. Die Gebäudehülle besteht aus einer filigranen, durchaus gelungenen Glasfassade mit vertikalen Holzpfosten und horizontalen Stahlriegeln, wodurch die Innenräume hell und freundlich werden und eine starke Beziehung zwischen innen und außen entsteht. „Wir haben ein Gebäude aus den 1980er-Jahren neu erfunden, um auf die sich wandelnden Bedürfnisse kreativer Unternehmen heute und in Zukunft zu reagieren“, erläutert Duncan Swinhoe, Co-Regional Managing Principal bei Gensler.
Moretown Nr. 6 ist jetzt ein sehr offen gestaltetes Bürogebäude, in dem durch die Materialien Holz, Stahl und Backstein eine angenehm warme Atmosphäre herrscht. © Gensler / Johan Dehlin
Ziel war es, mit den Büroflächen ein dem Zeitgeist entsprechendes agiles Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich die über 250 Mitarbeiter möglichst einfach miteinander verknüpfen können, um so die Kreativität zu fördern. Die Arbeitsplatz-Struktur sollte sich dabei flexibel an die Bedürfnisse anpassen können. Um dafür eine Grundlage dafür zu schaffen, hat Gensler eine interne Analyse unternommen und so herausgefunden, wie viele Arbeitsplätze und Besprechungsräume notwendig sind vor allem welche Nutzungen – etwa für konzentriertes Arbeiten, Telefonate, Gemeinschaftsarbeiten oder Kurzbesprechungen – benötigt werden.
So ergab sich das Konzept, die Teams künftig in „Nachbarschaften“ zu organisieren, um die Team-Grenzen möglichst durchlässig zu machen. Wichtig dabei ist die zufällige Begegnung, die räumlich nicht nur auf der jeweiligen Ebene, sondern auch über die Geschosse erfolgen soll. In den Büroräumen gibt es außerdem nur wenige feste Elemente, wodurch die Konfiguration der Büros sehr flexibel ist. Die Mitarbeiter können und sollen ihren Arbeitsplatz selbst bestimmen. Nicht zuletzt auch, weil – auch das ergab die Analyse – in rund 80 % der Fälle die Projekt-Teams eine Größe von zwei bis vier Personen haben.
Die offen gestalteten Grundrisse sind die Basis für die Einrichtung, die möglichst flexibel von den Mitarbeitern verändert werden kann. © Gensler / Johan Dehlin
Was bei der konkreten Einrichtungsplanung allerdings fehlte, waren die für dieses theoretische Grundgerüst passenden Büromöbel. Also entwarf man kurzerhand eine eigene Büromöbel-Kollektion und realisierte sie in Kooperation mit dem italienischen Hersteller Fantoni: „Atelier“ ist modular und flexibel, alle Tische, Sideboards und Tafeln stehen auf Rollen und können frei im Raum platziert werden. Als feste Trennelemente im Raum dienen die Regale, an die alle anderen Teile der Kollektion angedockt werden können. Mit dem Namen „Atelier“ möchten die Designer*innen an die Kreativität und die Atmosphäre in Künstler- und Couturier-Studios erinnern, die damit in Planungsbüros gebracht werden soll. Die Möbel selbst geben sich formal eher reduziert, dafür mit schönen Details.
In seinem Londoner Europa-Headquarter schafft das Design- und Architekturbüro Gensler für seine Mitarbeiter eine hochwertige Bürolandschaft, die auch von dem ständigen Wandel im Unternehmen erzählt. Die Flexibilisierung der Arbeitsplätze beeinflusst schlussendlich auch das Arbeiten an sich: Die Mitarbeiter werden stets in einer Art Bea-Modus gehalten, der Ansporn zu Kreativität liefert und vor Augen führt: Jeder hält sein Schicksal selbst in der Hand.
Der Büroplanung gingen zunächst gründliche Untersuchungen voran, mit denen die effektivsten Arbeitskonfigurationen herausgefunden wurden. © Gensler / Johan Dehlin
Da die Planer bei Gensler auf dem Markt keine geeigneten Möbel für ihr Europa-Headquarter gefunden hatten, entwarfen zu zusammen mit einem italienischen Hersteller kurzerhand selbst ein eigenes System. © Gensler / Johan Dehlin
Wichtiger Treffpunkt für die eher inoffiziellen Begegnungen ist das zentrale Café. © Gensler / Johan Dehlin
Das Büromöbel-System „Atelier“ haben die Designer*innen von Gensler speziell die für größtmöglich flexible Nutzung von Büroräumen entwickelt. © Fantoni
Projektdaten:
Projekt: Bürogebäude Gensler Headquarter in Moretown/London
Architektur: Gensler, San Fransisco
Bauherr: Resolution Property, London
Fertigstellung: 2019