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Der Zeit einen Sinn geben

30. August 2022

Ihr Antrieb ist die Lust am Gestalten. So sind es Bauaufgaben, die ein bisschen kniffliger und herausfordernder sind – das können ein besonderer Bauplatz, eine spezielle Bauaufgabe, eine interessante Bauherrschaft oder anspruchsvolle gesetzliche Rahmenbedingungen sein. Unter dem Strich gönnen sich Ulrike Schartner und Alexander Hagner, gemeinsam bekannt als Architekturbüro gaupenraub +/-, den Luxus, sich mit Dingen zu beschäftigen, die in ihren Augen sinnvoll sind. 

 

Barbara Jahn hat Ulrike Schartner, die am 12. Oktober 2022 im Rahmen der Wiener Edition von ARCHITECT@WORK einen Vortrag halten wird, wie man aus der Not eine Tugend macht, zum Interview getroffen.

 


Gemeinsam mit ihrem Büropartner Alexander Hagner führt Ulrike Schartner das Wiener Architekturbüro gaupenraub +/-, das bereits vielfach mit hochkarätigen Architekturpreisen ausgezeichnet wurde.
Foto: © Markus Kubicek


Heute, in einer Zeit von „Größer, Höher, Schneller“ ist meist der Blick auf die kleinen Dinge, die das Leben eigentlich erst so richtig schönmachen, verloren gegangen oder zumindest eingeschränkt. Kann man sie wiederfinden?


Wir glauben, wenn ein Bauwerk wirklich gut gelingt, hat das sehr viel mit der Beziehung zwischen dem Architekten und dem Bauherrn zu tun. Sie müssen sich finden und gemeinschaftlich zu etwas kommen, das über dem „Normalen“ liegt. Wenn eine Bauaufgabe klein ist, dann ist es ganz wichtig, dass das Detail stimmt. Das ist allerdings bei jedem unserer Projekte so: Alles wird von Anfang bis zum Ende durchdacht. Mag sein, dass das „Alte Schule“ ist, aber wir haben vorwiegend private Auftraggeber, die das zu schätzen wissen, wenn man sich in eine Sache so vertieft.

 


Sensibler Inhalt im architektonischen Kleinod: Das Eiermuseum wird raffiniert von unten belichtet.
Foto: © gaupenraub

 

Lässt sich Ihrer Meinung nach Architektur „recyceln“?

 

Wir haben damit schon angefangen, als das wirkliche Randthemen in der Architektur waren. Jetzt ist das anders, weil völlig klar ist, dass man im Sinne der Nachhaltigkeit so agieren muss. Wir sind davon überzeugt, dass das die Bauaufgabe von morgen sein wird. Das bedeutet nicht, dass man nichts mehr bauen soll, aber die Substanz, die schon da ist, besser nutzt.

 

Ein Architekturbüro muss natürlich auf sein wirtschaftliches Überleben schauen. Trotzdem haben Sie entschieden, zumindest am Anfang ehrenamtlich viel Zeit und Engagement in soziale Projekte zu investieren. Warum?

 

Das hat sich so entwickelt. Mein Büropartner Alexander Hagner wollte damals einfach helfen und unterstützen, noch nicht im Bilde, welche Dimensionen Obdachlosigkeit tatsächlich hat. Zu Beginn haben wir unsere Zeit ehrenamtlich verwendet. In welche Richtung sich das alles entwickeln würde, konnten wir noch nicht absehen.

 


Aus wenig viel machen: Was aus Solidarität und Mitgefühl begann, wurde zu einem beispiellosen Sozialprojekt – die VinziRast Mittendrin in Wien.
Foto: © Kurt Kuball


Lebensraum für Menschen zu gestalten, die es in dieser Gesellschaft nicht so auf die berühmte „Butterseite“ gefallen sind, ist sicher nicht einfach, braucht aber einen einfachen Zugang und höchstwahrscheinlich einfache Mittel. Wie gehen Sie damit um?

 

Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht den standardisierten Obdachlosen gibt. Es gibt Menschen, die durch eine Scheidung oder Jobverlust plötzlich ihr Zuhause verlieren und diejenigen, die schon seit 30 Jahren auf der Straße leben. Es gibt die, die den Weg zurück ins normale Leben suchen, und die, die eigentlich niemanden mehr sehen wollen. So sind alle ganz individuell und verschieden, deshalb müssen Unterkünfte auch diese Vielfalt der Personengruppen abbilden. Man muss sich behutsam herantasten, denn alle Versuche herauszufinden, wie eine obdachlose Person wohnen will und was sie braucht, sind gescheitert. Ein Grund dafür ist, dass Zukunft in ihren Köpfen nicht wirklich existiert. Es ist vielmehr ein Bestreiten des jeweiligen Tages. Wichtig ist, dass es keine Zwänge gibt und die Sicherheit, dass man an einem Ort bleiben kann.

 


Eine Heimat auf Zeit: Im Wiener VinziDorf können sich obdachlose Menschensicher fühlen und ihren Rucksack – den emotionalen und den tatsächlichen – einmal abstellen.
Foto: © Kurt Kuball


Nachhaltigkeit, Wiederverwertung, Wertstoffkreisläufe – alles keine neuen, aber immer wichtiger Begriffe.  Wie geht ihr damit um?

 

Nachhaltigkeit ist mittlerweile fast ein Unwort. Bei uns galt es zu Beginn ja, aus der Not eine Tugend zu machen. In unserem Genre waren die Ressourcen so knapp, dass wir von Anfang an darüber nachgedacht haben, Material aus dem Abbruch wiedereinzusetzen, zum Beispiel beim Vinzirast Mittendrin das Holz des Dachstuhls. Was damals noch überhaupt kein Thema war, war für uns eben schon immer eines.


Was wäre denn ein guter Ansatz für die Zukunft?

 

Was uns hier noch weitestgehend fehlt, sind Strukturen wie flächendeckende Lagermöglichkeiten für Elemente aus Abbruchprojekten. Was auch ein wichtiger Punkt wäre, ist eine Datenbank, die über zu recycelnde, wiederverwendbare Materialien oder Bauteile und ihre Verfügbarkeit informiert. Dafür wird sich ein ganzer Berufszweig entwickeln müssen. Wovon wir uns langsam verabschieden sollten, ist das „Makellos-Denken“. Alte Dinge haben natürlich Gebrauchsspuren und ihre Patina, aber sind oft immer noch besser als neue. Man kann vieles Instand setzen, kleine Fehler ausbessern und reparieren.


Was können Architekten und wir alle beitragen?

 

Man muss sicher in einem gewissen Rahmen mehr Eigeninitiative entwickeln – nicht warten, dass jemand von außen etwas anschafft. Etwa „Fehlstellen der Stadt“ entdecken, recherchieren, darüber nachdenken, selbst mit Ideen kommen. Man sucht sich die Bauaufgaben selbst, das Team, man kann selbst Menschen für Projekte begeistern. Das macht auch insgesamt mehr Freude. Und so können Projekte richtig gut werden. Wichtig ist, dass man mit offenen Augen durch die Welt geht. Dann können schöne Dinge entstehen.

 

Mehr Infos über den Vortrag von Ulrike Schartner auf der kommenden ARCHITECT@WORK in Wien können Sie hier lesen. 


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